Von seinem Balkon aus blickt ein 78-Jähriger statt ins grüne
Blätterwirrwarr nun auf eine rote Mauer. Mit dem gefällten Baum ist auch
das Zwitschern der Vögel aus dem Innenhof verschwunden.
Von Tanja GoldbecherZwickau.
Wenn Olaf Böhm früher an der Mauritius-Brauerei vorbei gelaufen ist,
hat er den Blick immer gen Himmel gerichtet. Bis zu seiner Wohnung an
der Zwickauer Max-Pechstein-Straße waren es von dort aus noch etwa zehn
Minuten zu Fuß. Die grüne Spitze der riesigen Pappel aus seinem Innenhof
sah er aber schon über die Dächer ragen. Die Augen auf diesen Punkt
fixiert, kam er seiner Heimat langsam näher.
Wenn der 78-Jährige heute diesen Weg geht, schmerzt ihn die Aussicht.
Denn die Pappel, die noch älter als er gewesen sein muss, gibt es nicht
mehr. Im März fällten Arbeiter den Baum, ohne eine Ankündigung, ohne
eine Erklärung. Als Böhm sie fragte, wer das veranlasst hat, bekam er
keine Antwort. Geblieben ist ein Stumpf, eine mit hellen Holzspänen
übersäte Wiese und eine Leere im Innenhof. "Der Baum war doch noch
kerngesund", sagt der ältere Mann entrüstet. Äste seien lediglich an
stürmischen Herbsttagen herabgesegelt.
Als der frühere Papiermacher bei seiner Hausverwaltung nachfragte,
erklärte man ihm, sein Vermieter habe damit nichts zu tun. Auch der
Inhaber der angrenzenden Knopf- fabrik habe nichts von der Abholzung
gewusst. Tatsächlich stand der grüne Riese auf der Wiese des Grundstücks
- es gibt jedoch keinen Zaun, und die Mieter teilen sich den Hinterhof.