Tuesday 9 April 2013

Kinderglück im Osten



Nico Koppenhöle, Foto: T. Goldbecher

Die Zeit drängt. Ab August 2013 haben alle Eltern Anspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre Ein- bis Dreijährigen. Viele Kommunen gehen schon jetzt vor möglichen Klagewellen in Deckung. Es fehlt an Personal und Geldern, die Kinderbetreuung zu finanzieren. „Es gibt noch viel zu tun“, sagte selbst Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Nur in Sachsen-Anhalt müssen sich Eltern keine Sorgen machen. Das Bundesland ist ein Spitzenreiter, wenn es um die Anzahl der Betreuungsplätze geht.

Die Kinderbetreuung war der Hauptgrund für seinen Rückzug in die Heimat, erzählt Nico Koppenhöle. Der gebürtige Dessauer hatte nach seiner Ausbildung zum Bürokaufmann fünf Jahre in Frankfurt gearbeitet. Zunächst verkaufte er Autos, später Kopierer. Als seine Frau Kerstin schwanger wurde, begann die Suche nach einem geeigneten Kindergarten. Jedoch konnten sie keine Ganztagsbetreuung finden. Da beide weiterhin arbeiten wollten, entschlossen sie sich trotz schlechter Arbeitsmarktaussichten in den Osten zurückzugehen.

Bundesweit werden ca. nur 28 Prozent der unter Dreijährigen in einem Kindergarten oder bei einer Tagesmutter betreut. In Sachsen-Anhalt sind es mit 57,5 Prozent doppelt so viele. Damit ist das mitteldeutsche Bundesland sogar auf Platz eins im bundesweiten Ländervergleich zur Betreuungsquote. Die wenigsten Plätze für Kleinkinder gibt es in Nordrhein-Westfalen.

„Ich habe immer gesagt, auch hier müssen Sachen verkauft werden“, berichtet Nico Koppenhöle über seinen Entschluss zurückzukehren und sich in Weißandt-Gölzau niederzulassen. Er hat die hellblonden Haare kurzgeschnitten, trägt ein weißes Hemd und Jeans. Seine blaue Krawatte legt er während des Gesprächs ab. Verkaufen hatte dem 34-Jährigen immer Spaß gemacht. Sehr schnell war er auch hier wieder im Automobilgeschäft. Die Abwrackprämie 2009 kam da sehr gelegen. Seine Frau Kerstin hat nach dem Mutterschutz ebenfalls sofort eine neue Stelle als Finanzbuchhalterin gefunden.

Selbst im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern schneidet Sachsen-Anhalt sehr gut ab. Als die Region in der DDR zu einem bedeutenden Standort der Chemie- und Schwerindustrie wurde, baute die Regierung die Kinderbetreuung flächendeckend aus. Mittlerweile ist der Industriestandort verkümmert, aber das engmaschige Netz von Kindereinrichtungen ist weitgehend erhalten geblieben. Die Betreuungsplätze werden zum größten Teil von den Kommunen finanziert. Die Bundesrepublik und die Eltern ergänzen den Rest. Nur ein sehr geringer Anteil der Finanzierung geschieht über Freie Träger.

In der Region hat jedes zweite Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz. Jedoch wird auch der anhaltende Bevölkerungsrückgang diese Situation begünstigen. Hatte die Stadt Köthen 1985 noch um die 35.000 Einwohner, waren es 2012 nur noch 28.000. Dabei sind es vor allem junge Frauen zwischen 20 und 30, die ihre Heimat verlassen. Die Geburtenrate sinkt und für die übrigen Kinder bleibt mehr Platz zum spielen. Allein in Köthen gibt es elf Kindereinrichtungen. Außerdem fällt auf, dass es in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den anderen Bundesländern nur sehr wenige Kinder mit einem Migrationshintergrund gibt.

„Die Region blutet aus“, sagt Nico Koppenhöle, der aber selbst nie die Verbindung zu seiner Heimat verloren hat. Seit seiner Studentenzeit engagiert er sich für die CDU. Als Mitglied in der Jungen Union hat er deren Beteiligung am jährlichen Rosenmontagsumzug organisiert. Mittlerweile verkauft Nico Koppenhöle keine Autos mehr, sondern arbeitet als Regionalgeschäftsführer der CDU für den Kreis Anhalt-Bitterfeld und Dessau-Roßlau. Außerdem ist er seit 2011 ein Mitglied bei den Keethner Spitzen.

Kerstin und Nico Koppenhöles Sohn ist mittlerweile vier Jahre alt und sie erwarten jetzt ihr zweites Kind. Von der Betreuung im Kindergarten halten beide Eltern sehr viel. Nur die in Sachsen-Anhalt seit 2004 praktizierte Bildung-Elementar, die die individuelle Entwicklung des Kindes fördern soll, sieht Nico Koppenhöle kritisch. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die die früh­kindlichen Bildungssysteme in der Bundesrepublik miteinander vergleicht, hat gezeigt, dass in Ostdeutschland zwar die Anzahl der Betreuungsplätze höher ist, in Westdeutschland jedoch die Qualität der Kinderbetreuung überzeuge. Das bestätigt ebenfalls eine langjährige Erzieherin aus der Region, die anonym bleiben will. Sie berichtet, dass vor allem die Einrichtungen in den ländlichen Gegenden in alten Strukturen verharren und wenig Raum zur Entwicklung neuer Konzepte bieten.

In Sachsen-Anhalt haben die meisten Erzieherinnen und Erzieher einen Fachschulabschluss. Allerdings hat das Bundesland auch den niedrigsten Anteil an Vollzeitbeschäftigten. Durch den Generationswechsel könnte schon bald ein Mangel an gutem Betreuungspersonal entstehen. Im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern werden hier nur wenige Kinder von einer Tagesmutter betreut.

Der Wunsch von Kerstin und Nico Koppenhöle weiterhin berufstätig zu sein und sich nicht nur der Kindererziehung zu widmen, stieß in ihrem Frankfurter Umfeld oft auf Unverständnis. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern ist das jedoch der Normalfall.  In Sachsen-Anhalt befindet sich die Hälfte aller Mütter, die ein Kind unter drei Jahren haben, in einem Beschäftigungsverhältnis. Auffallend ist außerdem der hohe Anteil der Einjährigen, die täglich betreut werden. Viele Kinder bleiben sogar mehr als sieben Stunden in einer Kindestagestätte.

Die Koppenhöles sind froh, wieder in ihre Heimatregion zurückgekehrt zu sein. Beide haben sehr schnell eine Anstellung gefunden und hatten keine Probleme einen Ganztagsbetreuungsplatz für ihr Kind zu finden. Bis jetzt sind sie mit ihrer Entscheidung zum Rückzug jedoch eher ein Einzelfall..