Monday 18 February 2013

Die Geldreformer von Köthen


Manuel Schürmann, Geschäftsführer von Global Change Now e. V., Foto: Sander Fuchs

Die Eingangstür der Villa ist offen. Eine Marmortreppe führt hinauf in ein abgedunkeltes Foyer, in dem ein verlassener Anmeldungstresen steht. Bitte im ersten Stock melden, heißt es auf einem Schild neben der runden Tischklingel. Manuel Schürmann öffnet die Flügeltür zu seinem Büro mit glänzendem Parkettboden. Er setzt sich in einen der vier schwarzen Ledersessel neben dem alten Kamin. Der 25-Jährige ist der Geschäftsführer des Vereins Global Change Now (GCN).
Wie unser Geldsystem funktioniert, ist eine der zentralen Fragen, mit der sich der Verein auseinandersetzt. Manuel Schürmann hatte gerade seinen neuen Job bei der Commerzbank in Köln begonnen, als die Investment Bank Lehman Brothers 2008 Insolvenz beantragen musste. Als ihm niemand erklären konnte, warum es zu der Krise kam, begab er sich selbst auf eine Ursachensuche und stieß im Internet auf Menschen mit dem gleichen Interesse. Kurz darauf wurde Global Change Now gegründet. Der Verein möchte Alternativen zum Kapitalismus und zur sozialen Marktwirtschaft entwickeln.
Manuel Schürmann trägt eine enge Jeans und einen dunkelblauen Pullover über dem weißen Hemd. Den Alltag eines Bankers empfand er unbefriedigend. Als die Beziehung zu seiner Freundin in Köln in die Brüche ging, kündigte er kurzerhand seinen Job und begann einen radikalen Umbruch in seinem Leben. Für seine Arbeit als Vollzeitaktivist bei GCN zog er nach Berlin. Seitdem die Bundeszentrale bald darauf aus finanziellen Gründen nach Köthen verlegt wurde, lebt und arbeitet er in der Villa Creutz.
„Ich habe das Gefühl, dass ich so langsam in Köthen angekommen bin und auch nicht mehr von hier wegkomme“, berichtet Manuel Schürmann. Köthen ist eine Kleinstadt mit knapp 30.000 Einwohnern und liegt mitten in Sachsen-Anhalts flacher Feldlandschaft. Die gut erhaltene Villa konnte der Verein zu einem sehr günstigen Preis kaufen.
Eingangsschild zur Villa Creutz, Foto: S. Fuchs
Eine dunkle Holztreppe führt zur oberen Etage des Hauses, wo sich die Zimmer der Aktivisten befinden. Ein geräumiges Mehrbettzimmer in hellem beige wurde ebenfalls für Workshop-Teilnehmer eingerichtet. Zwischen sieben und 12 Vereinsmitglieder leben dauerhaft in der Villa. GCN ermöglicht ihnen eine kostenfreie Unterkunft und stellt die Verpflegung, aber eine Bezahlung bekommen Manuel Schürmann und die anderen nicht.
Mittlerweile organisiert GCN zum dritten Mal einen Kongress zum Thema „Macht Geld Sinn Energie“ in Köthen. Vom 9. bis zum 14. März diskutieren Referenten aus Politik und Wirtschaft die Finanzkrise, soziale Ungerechtigkeiten und die nachhaltige Energiegewinnung. Obwohl keiner der Gastredner ein Honorar verlangt, reicht der Ticketpreis von 100 Euro kaum aus, um die Kosten für die Organisation des Kongresses zu decken. Wie im letzten Jahr erwartet der Verein einen Zustrom von 500 interessierten Teilnehmern. So viele Besucher sind für Köthen ein Ausnahmezustand, sodass viele auf Unterkünfte in nahegelegenen Orten ausweichen müssen.
Nach der Gründung des Vereins 2009 arbeiteten die Mitglieder zunächst an einer Kampagne zum Grundeinkommen. Dabei versuchte der Verein dem Thema Grundeinkommen ein positives Image zu verleihen. Das bedingungslose Grundeinkommen  garantiert jedem Bürger eine finanzielle Absicherung. Dabei spielt es keine Rolle ob jemand berufstätig ist oder wie viel Vermögen er besitzt. Durch die materielle Sicherheit soll jeder Mensch sich selbst verwirklichen können. Außerdem beschäftig den Verein eine schonende Nutzung der Umwelt. GCN plädiert dafür, Ressourcen zu besteuern. Dadurch soll ein sparsamerer und effizienterer Umgang mit Rohstoffen durchgesetzt werden.
Bereits 175 Fördermitglieder unterstützen die Arbeit des Vereins. Der deutsche Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz ist einer der einflussreichsten Theoretiker, an dem sich GCN orientiert. Ihm zu Ehren ist die Bundeszentrale auch Villa Creutz genannt worden. Creutz kritisiert beispielsweise, dass die deutsche Wirtschaftsleitung und das Geldvermögen immer weiter steigen, aber die Nettolöhne der Arbeitnehmer sinken. Er schlussfolgert daraus, dass das gestiegene Vermögen sich immer mehr in den Händen einzelner Personen befindet. Der Großteil der Bevölkerung profitiert also nicht vom Wirtschaftswachstum und die Kluft zwischen Arm und Reich wird stetig größer.
Die Villa in der Friedrich-Ebert-Straße und in der Nähe des Köthener Bahnhofs wurde in der DDR von der FDJ-Kreisleitung genutzt. Früher fanden hier Versammlungen für die Pionierleiter der Region statt. Im gesamten Haus stehen antike Möbel, die den authentischen Stil der Villa erhalten. Manuel Schürmann öffnet die Tür zu dem rot gestrichenen Seminarraum. Auf dem Schrank stehen fünf Gemälde von Gastrednern, die ein anonymer Künstler aus Köthen angefertigt hat.
„Die jungen Menschen sollen sehen, dass sie mit dem Thema nicht alleine sind“, erklärt Schürmann. Der Wirtschaftswissenschaftler Dirk Löhr von der Fachhochschule in Trier ist einer von den dargestellten Experten.
Der Kongress verteilt sich über die ganze Stadt. Vom renovierten Johann-Sebastian-Bach-Saal, über die  Homöopatische Bibliothek bis zur Heinz-Fricke Sporthalle wird ganz Köthen zur Diskussionsplattform. Jedoch stammen die wenigsten Teilnehmer ursprünglich aus der Kleinstadt. Dennoch betont Manuel Schürmann das gute Verhältnis des Vereins zum Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander, der auch Schirmherr der Veranstaltung ist, sowie zur kommunalen Kirche und ansässigen Fachhochschule.
Wie im letzten Jahr soll der Lutze-Taler wieder als Zahlungsmittel während des Kongresses eingesetzt werden. Eins zu eins können Euro in Taler in der Villa Creutz umgetauscht werden. Durch Absprachen mit lokalen Kneipen und Ladenbesitzern kann die Währung nur in der Region ausgegeben werden. Beim Zurücktausch in Euro veranschlagt der Verein eine Gebühr von fünf Prozent und diese Einnahmen sollen wiederum sozialen Projekten zu Gute kommen. Für Geldreformer ist das regionale Zahlungsmittel ein reizvoller Praxisversuch.
Manuel Schürmann im Garten der Villa Creutz, Foto: Sander Fuchs
„Ich glaube, dass die Komplexität des Themas überschätzt wird“, sagt Manuel Schürmann. Das Problem bestehe vor allem darin, dass Geld zu viel gespart und zu wenig investiert werde. Während einige Personen immer mehr Vermögen anhäufen, fehlt es der Bevölkerung an Kaufkraft. Ohne Investitionen und Absatzmärkte funktioniert das kapitalistische System jedoch nicht.
Kleinere Workshops organisiert GCN auch in Köln und Berlin. Die Schuldenkrise wird dabei immer wieder thematisiert. „Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Schulden der einen auch immer Sparguthaben anderer sind. Es handelt sich also weniger um eine Schulden-, als vielmehr um eine Guthaben- und Verteilungskrise“, argumentiert GCN auf seiner Homepage. Das Geldsystem müsse reformiert werden, damit die Wirtschaft zu einem demokratischen Instrument werden könne und der gesamten Bevölkerung nutzt. Durch mehr Investitionen der Vermögenden würde der Binnenmarkt angeregt, Einkommen könnten steigen und Schulden abgebaut werden.
Zusätzlich glaubt der Verein, dass bestimmte Güter, die für die Gemeinschaft notwendig sind, in öffentlicher Hand bleiben sollten. „Es kommt auf die Differenzierung der Güter an“, sagt Manuel Schürmann. Je nach Gut und Nutzen für die Gemeinschaft müsse entschieden werden, ob eine private oder öffentliche Verwaltung der Ressourcen richtig ist. Probleme entständen vor allem dann, wenn Gemeinschaftsgüter monopolisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die derzeit diskutierte Privatisierung von Wasser. In eine politische Schublade lässt sich der Verein damit nicht stecken. So vertrete keine der Parteien seine Interessen.
In der 1000 Quadratmeter großen Villa gibt es mehrere Büroräume, in denen weitere Aktivisten an Computern arbeiten. Vor allem die Verwaltung des Vereins bedarf viel Arbeit. Ein großer Hof führt zu einem Garten, in dem eine kleine Bühne aus Beton gebaut wurde. Hier, so Schürmann, könnten im Sommer Kulturabende organisiert werden. „Für die Mitglieder ist Köthen wie ein Disneyland für Weltverbesser“, fügt er hinzu.