Tuesday 2 September 2014

Teilen ist das neue Besitzen

Ob Kleider, Werkzeuge oder geerntetes Obst: Etwas zu tauschen oder zu verleihen liegt im Trend. Im Internet integrieren immer mehr Plattformen diese neue Konsumform in den Alltag der Nutzer.

Für vier Euro verkauft sie den gelben Fledermauspulli, die hellbraune Bluse würde sie gern tauschen. Daniela Traumüller ist seit drei Jahren bei der Online-Tauschbörse Kleiderkreisel aktiv. "Ich habe damals nach einer Alternative zu Ebay gesucht", sagt Traumüller. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet in Zwickau. Über 100 Kleider und Accessoires listet die allein erziehende Mutter in ihrem Profil auf.
Daniela Traumüller praktiziert eine Konsumform, die der amerikanische Wissenschaftler Martin Weitzman Sharing Economy nennt. Es geht um das systematische Ausleihen oder Tauschen von Gegenständen. Die Güter wechseln den Besitzer solange, wie sie zu gebrauchen sind. Der Motor für die Ökonomie des Teilens sind elektronische Plattformen und soziale Netzwerke. Der Wert von Besitz wird neu definiert.


"Ich schmeiße ungern Sachen weg, die noch brauchbar sind und freue mich, wenn jemand anderes Verwendung dafür hat", erklärt Daniela Traumüller. Mehrmals pro Woche geht sie zur Post, um Sachen zu verschicken. Hier kommt die Währung des Gemeinschaftskonsums ins Spiel: Vertrauen. Die Mitglieder hinterlassen sich gegenseitig Bewertungen. Sätze wie: "Sehr nette und kompromissbereite Kreislerin - Dankeschön" zeichnen sich über 300-mal auf Traumüllers Profil ab.
Kleiderkreisel ist eine gebührenfreie Plattform. 95 Prozent der Nutzer sind Frauen und meistens zwischen 16 und 24 Jahre alt. "Die Idee hinter dieser Seite ist, seiner Kleidung ein zweites Leben zu schenken und somit dem Konsum einen neuen Sinn", sagt Sophie Utikal. Während ihres Studiums hat sie mit zwei anderen Studenten 2009 die Online-Tauschbörse in München gegründet. Mittlerweile hat die Seite über zwei Millionen Mitglieder. In Foren geben sie sich untereinander Tipps zum Tauschen, Verschenken und Verkaufen. Aus diesem Austausch entsteht eine Gemeinschaft.

Genau darin könnte laut Carolin Baedeker, Wissenschaftlerin am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie, ein Grund für diesen Trend liegen. "Teilen und Tauschen hat eine lange Tradition. Nach dem Krieg waren dafür eher ökonomische Gründe verantwortlich. Es wurden Waren getauscht, an denen es mangelte", sagt Baedeker. In den 80er-Jahren stand bei den sich da etablierenden Kommunen das ökologische Bewusstsein im Vordergrund. "Heute geht es den jungen Menschen eher um das soziale Event und die soziale Interaktion, die dahinter steht", erklärt die Wissenschaftlerin. Statussymbole wie Autos bedeuten der jüngeren Generation nicht viel. Mobiltelefone sind dafür wichtiger geworden. Die Ökonomie des Teilens breitet sich in allen Lebensbereichen aus. Über die Smartphone-App Whyownit oder die Internetseite Frents kann man herausfinden, wer in der Nähe eine Leiter oder PC-Boxen verleiht. Lebensmittel kann man über Foodsharing verschenken. Und über Couchsurfing lernt man im Urlaub Einheimische kennen.

Sharing Economy findet nicht nur als Hobby, sondern auch in der Wirtschaft Anklang. "Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie weniger Hardware und mehr Dienstleistungen um das Produkt herum verkaufen werden", sagt Reinhard Loske, Professor für Politik, Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten-Herdecke. Als Beispiel führt er die Automobilindustrie an. Viele Menschen mieten ein Auto bei einem Händler, melden sich bei Carsharing an oder suchen nach einer Fahrgemeinschaft im Internet.

Carolin Baedeker warnt davor, die Konsumform per se als umweltfreundlich anzusehen. "Es ist gut, wenn ein T-Shirt weniger produziert wird. Wenn es dann als Second Hand Ware verpackt durch halb Deutschland verschickt wird, können wir einen Reboundeffekt erleben", sagt Baedeker. Es werden zwar Ressourcen bei der Produktion gespart, allerdings wieder Energie beim Transport verbraucht. Sharing Economy kann sogar zu einem vermehrten Konsum anregen. "Es ist wichtig, dass man selbstkritisch hinterfragt, was man wirklich braucht", empfiehlt Baedeker. Ob der Trend tatsächlich zu einem kulturellen Wandel führt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Entscheidend ist, dass sich nicht nur ein internetaffiner Mensch, sondern auch das Gros der Gesellschaft auf diese Konsumform einlässt.

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