Mehr als sechs Jahre hat eine Zwickauerin versucht, Mutter zu werden. Selbst nachdem ihre erste Schwangerschaft tragisch endete, gab sie nicht auf. Heute erzählt sie von ihrem neuen Familienleben und so manch gewandelter Vorstellung davon.
Zwickau. Die letzten Stunden hält sie kaum noch aus. Der Bauch ist riesengroß, der Geburtstermin sechs Tage überschritten. Rose* packt die Angst, dass jetzt kurz vorher doch noch etwas schief geht. Sie flucht und wird immer unruhiger. Schließlich entscheidet sie sich, die Geburt einleiten zu lassen. Mehr als sechs Jahre hat die Zwickauerin auf diesen Moment gewartet. Es ist ein lauer Oktobertag, an dem sie zum ersten Mal ihre Tochter in den Armen hält.
Freie Presse: Woher nimmt man die Kraft, den Kinderwunsch niemals aufzugeben?
Rose: Ich habe mich selbst nie als hoffnungslosen Fall betrachtet. Ich dachte, dass so ein kleines hormonelles Problem doch nicht alles kaputt machen kann.
Die Geschichte von Rose und ihrem Mann verfolgen Tausende Menschen im Internet. Tippt man "Kinderkriegen ist nicht schwer" ins Suchfeld eines Browsers ein, erscheint sofort der Blog der 34-Jährigen. Sie wollte mit den Klischees über das Schwangerwerden aufräumen. Tipps, wie sich einfach mal im Urlaub richtig zu entspannen, sollten endgültig als Küchenweisheit im Abfluss versenkt werden.
Damit trifft die junge Frau einen Nerv. Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung bleibt in Deutschland derzeit jede fünfte Frau ohne Nachwuchs, in Sachsen ist es jede sechste. Ähnlich wie bei Rose hat der Grund dafür häufig nichts mit Karriereplänen zu tun. Oft sind es medizinische Ursachen wie verklebte Eileiter oder inaktive Spermien, die eine Schwangerschaft verhindern. Viele Betroffene schweigen zu diesem Thema und bleiben letztendlich mit ihrem Schmerz allein.
Rose wählte eine andere Strategie. Sie thematisierte ihr Schicksal zwar anonym, aber dennoch öffentlich. Familie, Freunde und Fremde verfolgten, wie es ihr gelang, über eine künstliche Befruchtung schwanger zu werden. Sie erlebten die Euphorie dieser jungen Frau - und wenig später eine schier erdrückende Traurigkeit. Ihr ungeborener Sohn erkrankte und verstarb noch im Mutterleib. Monate später nahm sie einen erneuten Anlauf. Wieder gelang es den Ärzten, eine befruchtete Eizelle in Roses Körper einzusetzen. Dieses Mal ist das Kind gesund. Trotzdem sind die Monate bis zur Geburt von einem beschwerten Bauchgefühl geprägt.
Freie Presse: Hat die neue Schwangerschaft die Erinnerungen an den verstorbenen Sohn wieder hochgeholt?
Rose: Ich hatte manchmal Déjà-vu-Erlebnisse. Die Trauer um meinen Sohn kommt aber inzwischen längst nicht mehr so heftig wie früher. Es ist jetzt eher so, dass es eine gewisse Grundstimmung in mir gibt, die immer da ist, vielleicht wie eine Glut, die nie ganz ausgeht. Ich werde immer zwei Kinder haben.
Mittlerweile sind acht Monate vergangen. Das kleine Mädchen strahlt über beide Wangen. "Mamamamam", plappert der Wonneproppen. Rose küsst das Baby auf den Kopf. "Ich bilde mir ein, dass sie schon fast Mama sagt." Das erste große Abenteuer hat die Kleinfamilie bereits erlebt. Mit dem VW-Bus ging es für sieben Wochen von der französischen Atlantikküste über die Pyrenäen bis nach Barcelona. Der Ortswechsel und die Auszeit haben die Eltern gebraucht. Denn selbst mit Kind erstrahlt die Welt nicht unentwegt in Rosarot.
Freie Presse: Wie ist es, wenn einem nach so vielen Jahren der sehnlichste Wunsch erfüllt wird?
Rose: Das ist auf jeden Fall cool. Mit den Jahren hat man den Kinderwunsch allerdings total idealisiert. Man verdrängt, dass das Leben mit Kind eben auch sehr stressig sein kann.
Alle drei Stunden nachts aufstehen, stillen und dann wieder eindösen - davon wird der neue Tagesrhythmus bestimmt. Rose bemerkt, dass sie empfindlicher als früher auf gewisse Dinge reagiert. "Man lernt sich mit Kind neu kennen", sagt sie. Sie habe natürlich gewusst, dass der Alltag mit Kindern auch anstrengend ist. Mit der Zeit hatte sich die romantische Vorstellung vom Familien- leben jedoch immer stärker eingebrannt. Wie die Realität aussieht, weiß sie erst, seitdem das schreiende Baby tatsächlich vor ihr liegt.
Der Blog schweigt zu diesen Themen. Denn die Zwickauerin wollte nie eine von unzähligen Mama-Bloggerinnen sein. Lediglich einen Text hat sie dazu veröffentlicht. Die zehn zusätzlichen Kilo auf den Rippen, die auch Monate nach der Geburt noch nicht verschwunden sind, ärgern Rose. "Ja, natürlich ist es die Hauptsache, dass es dem Kind gut geht. Aber ich finde, es ist auch wichtig, das eigene Wohlbefinden nicht zu ignorieren", schreibt sie in dem letzten Eintrag.
Wann Rose künftig etwas auf dem Blog veröffentlicht, weiß sie ganz genau - immer dann, wenn sie etwas beschäftigt.
*Name von der Redaktion geändert.
www.kinderkriegenistnichtschwer.blogspot.de
No comments:
Post a Comment