Tuesday, 17 October 2017

Das neue Selbstbewusstsein

Wahl 2017: Sieben Kandidaten bewerben sich im Wahlkreis Zwickau um das Direktmandat für den nächsten Bundestag. "Freie Presse" stellt sie vor, heute: Jürgen Martens (FDP).

Von Tanja Goldbecher und Christian Meyer

Meerane. Ausgerechnet ein Hotel schlägt Jürgen Martens als Treffpunkt für das Interview vor. "Das hat rein praktische Gründe", sagt der FDP-Bundestagskandidat. Schließlich befindet sich seine Meeraner Anwaltskanzlei nur wenige Meter vom Romantik-Hotel Schwanefeld entfernt. Damit ist die erste Frage an den Politiker programmiert: Hat sich die Hotel-Steuer, die der FDP einen enormen Imageschaden bescherte, rentiert?

Vor sieben Jahren hatte sich die Partei, damals noch in Regierungsverantwortung, für eine Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen von 19 auf sieben Prozent eingesetzt. Der Vorwurf lautete damals: Klientel-Politik. Bei der nächsten Bundestageswahl scheiterten die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde.

Jürgen Martens bestellt auf der Hotelterrasse eine Tasse Kaffee und winkt ab. Natürlich habe sich die Steuersenkung ausgezahlt. Die Branche sei angekurbelt worden, das Gesetz bewähre sich bis heute. "Außerdem war es die CSU, die die Steuersenkung zuerst ins Spiel gebracht hat. Die Dresche dafür haben aber nur wir bekommen."

Es bleibt nicht der einzige Punkt, an dem der Jurist mit den früheren Koalitionspartnern abrechnet. Zu viel hätten sich die Liberalen gefallen lassen, zu viele Zugeständnisse habe es gegeben. "Die Misshandlungen sind nicht vergessen", sagt er. Weitere Steuern sollten gesenkt werden. "Man hätte darauf bestehen oder 'Auf Wiedersehen' sagen und die Koalition verlassen müssen."
"Dresche", "Misshandlung", "Auf Wiedersehen" - Martens kann markig. Zumindest in Parlamentsdebatten konnte er sein rhetorisches Talent in den letzten Jahren nicht zeigen. Das Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 und dem sächsischen Landtag 2014 habe der Partei einen Schlag versetzt. "Wir haben die Zeit aber gut genutzt und aus der Geschichte gelernt", sagt der 58-Jährige. Die FDP will sich zur Wahl am 24. September gestärkt und mit neuem Selbstbewusstsein zeigen. Martens, seit 40 Jahren in der Partei, ist genau deshalb für den Zwickauer Wahlkreis ins Rennen geschickt worden. Er zählt aus seiner Zeit als Landtagsabgeordneter und sächsischer Staatsminister für Justiz und Europa zu den bekannten Köpfen der Partei. Spuren hat er zum Beispiel mit der Reform des Justizvollzugs hinterlassen - und sogar beim politischen Gegner Respekt erworben. "Ich habe Jürgen Martens als kompetenten Juristen erlebt, auf dessen Wort man sich verlassen kann", sagt Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linken im Landtag. Zur Wahl vor drei Jahren bekam Jürgen Martens in seiner Heimatstadt Meerane die drittmeisten Erststimmen, 13,1 Prozent. Die Partei insgesamt erreichte nur 5,25 Prozent. Die Enttäuschung war groß. Martens verschwand weitgehend von der politischen Bildfläche.

Ein Stichwort, das im Gespräch mit ihm häufig fällt: Digitalisierung. Weniger Papier, mehr Apps und Online-Dienste. Für Wahl-Slogans klingt das gut. Tatsächlich kann Martens auch Erfolge vorweisen. Unter seiner Regie als Justizminister verabschiedete das sächsische Kabinett 2014 ein Gesetz zum E-Government, das Behördengänge erleichtern soll. Auch den Breitbandausbau will er fördern. "Im Meeraner Gewerbegebiet gibt es immer noch Unternehmen, die nicht über schnelles Internet verfügen", sagt er.

Apropos Infrastruktur: "Mir ist es unerklärlich, warum Zwickau und Chemnitz noch nicht an das Eisenbahnfernverkehrsnetz angeschlossen sind", so Martens. Die Strecke müsse in den Bundesverkehrswegeplan. Wie er das erreichen will, dazu sagt er jetzt noch nichts.
Martens fordert mehr Investitionen in Bildung, kritisiert das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern. Ein Einwanderungsgesetz soll her, das Migration ohne Asylantrag ermöglicht. "Damit könnten wir uns aussuchen, wer nach Deutschland kommt", sagt er. Zum Thema Diesel-Krise mahnt er, sich nicht nur auf die Automobilindustrie zu verlassen. Auch andere Branchen müssten gefördert werden.

Viele Themen, wenig Zufriedenheit mit dem Ist-Zustand: Wer sich mit Jürgen Martens unterhält, merkt am Tonfall, dass da jemand nach drei Jahren parlamentarischer Ruhe wieder mitmischen will. Dass er nicht nur reden, sondern auch anpacken kann, musste er jüngst beim Meeraner Bürgerforum beweisen. Als ein Mann aus dem Publikum im Saal zusammenbrach, war Martens einer der ersten, die ihn mit einer Herzdruckmassage am Leben hielten - am Ende jedoch vergeblich.
Weil Martens auf Platz zwei der FDP-Landesliste steht, sind seine Chancen auf den Bundestag recht gut, unabhängig von den Erststimmen. Darauf angesprochen, sagt er: "Bis zum 24. September ist nichts entschieden." Der letzte Rückschlag, er ist eben nicht vergessen.

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