Thursday 19 November 2015

Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt (Teil 1)

Eine Zwickauerin versucht seit Jahren, ein Kind zu bekommen. Endlich wird sie schwanger, muss den Jungen aber gleich nach seiner Geburt begraben. Wie sie diese Zeit durchlebt, schreibt sie auf ihrem Blog. Diesen lesen täglich bis zu 400 Menschen.

Zwickau. Seit sechs Jahren ist es ihr größter Wunsch. Rose* möchte mit ihrem Mann ein Kind bekommen. Irgendwann kann sie all die altklugen Ratschläge nicht mehr ertragen. Auch entspannt, im Liebesrausch und im Urlaub klappt es nicht - sie wird einfach nicht schwanger. Die 32-Jährige sucht im Internet nach Gleichgesinnten, mit denen sie sich austauschen kann. Aber sie stößt nur auf Foren, in denen sie sich nicht wohlfühlt.

Am 3. August vergangenen Jahres beschließt Rose, selbst über ihren Weg zwischen Ungeduld, Hoffnung und Angst zu schreiben. Unerfüllte Kinderwünsche sollen nicht länger totgeschwiegen werden. Denn es ist nichts, was sie geheim halten muss oder was ihr peinlich ist. Die junge Frau aus Zwickau legt sich bei dem Internetportal Blogspot ein Profil an und nennt ihren Blog "Kinderkriegen ist nicht schwer". Genau diesem Klischee will sie den Boden nehmen. "Ich weiß nicht, wie so etwas geht, wie man einen Blog macht und so", schreibt sie in ihrem ersten Eintrag. Aber sie will ihre Gedanken loswerden, weil es andere gibt, denen es ähnlich geht und weil es auch ein bisschen Therapie für sie selbst ist.

Rose nimmt ihre Leser mit zu Ärzten, berichtet ihnen von vier befruchteten Eizellen und erzählt ihnen von dem positiven Schwangerschaftstest. "Das ist dann eben die Konsequenz des Blogs, dass es nun jeder schon weiß, obwohl die ersten kritischen zwölf Wochen noch gar nicht um sind", schreibt die Bloggerin. In solchen Momenten kommen ihr immer wieder diese Fragen: Wo ist meine Grenze, was darf ich nicht auf dem Blog veröffentlichen? Antworten darauf muss sich die Zwickauerin selbst geben. "Ich halte meinen Mann da weitestgehend raus und nenne auch keine anderen Personen beim Namen", sagt Rose. Dennoch gleichen ihre Beiträge einem Tagebuch, das intime Gedanken und widersprüchliche Gefühle offenbart. Rose folgt dabei keiner Schreibanleitung, sondern lässt sich von ihrem Impuls leiten.

Zuerst waren es Freunde und Familie, die Rose mit ihrem Blog auf dem Laufenden hielt, ohne jedem immer wieder ihre Geschichte zu erzählen. Dann landeten zunehmend unbekannte Leser auf ihrer Internetseite. Mittlerweile klicken bis zu 400 Menschen täglich auf ihren Blog. Die 100.000er-Marke an Klicks hat sie längst überschritten. So viel, wie sie von ihrem Innenleben preisgibt, so viel Zuspruch erhält sie im gleichen Atemzug. Immer wieder hinterlassen Blog-Leser Kommentare zu ihren Beiträgen. Oft sprechen sie dem Paar Mut zu und drücken ihr Mitgefühl aus. "Ich weine schon wieder, obwohl wir uns nicht ken-nen. Ihr seid so unglaublich stark," schreibt jemand. Der Kommentar bezieht sich auf Roses Eintrag "Game over". Darin beschreibt sie, dass das kleine Baby in ihrem Bauch krank ist, wie sie es zwar zur Welt bringen, aber gleich begraben muss.

Nach der Beerdigung verfasst Rose einen Brief an ihren kleinen Sohn Johann. Und auch diesen veröffentlicht sie: "Du warst immer unser Wunschkind, unser Wunder und wirst es immer bleiben." Der Schicksalsschlag wirft die junge Frau aus der Bahn. "Mir fehlt jegliche Motivation, ich frage mich, wofür ich am Morgen eigentlich noch aufstehe." Irgendwie geht es trotzdem weiter und auch daran lässt sie die virtuelle Welt teilhaben. Rückbildungskurse, Arzttermine und Flüchtlingshilfe halten Rose beschäftigt.

Im Alltag wird sie jedoch immer wieder an ihren schmerzhaften Verlust erinnert. Jeder Kinderwagen und jede schwangere Frau, die sie auf der Straße sieht, empfindet sie als Schlag ins Gesicht. An solchen Stellen bricht Rose wieder mit einem Tabu: Sie spricht aus, was man öffentlich eigentlich nicht sagen darf. "Wer nicht ertragen kann, dass ich manchmal alle Schwangeren hasse, der bleibt am besten gleich weg", warnt sie am Anfang ihres Blogs. So kritisiert sie offen die Ignoranz mancher Mitmenschen. Rose führt auf dem Blog eine Diskussion mit sich selbst, aber auch mit allen anderen Menschen. Zu dieser Auseinandersetzung gehören eben auch Gefühle, auf die sie nicht stolz ist.

Wie in einem Roman oder einer Serie soll auch diese Geschichte weitergehen. Für Rose gibt es kein Datum, an dem der Blog jemals enden muss. Die Klicks und die vielen Kommentare motivieren sie, weiterzuschreiben. Schließlich hofft die Bloggerin, dass sie irgendwann wieder von einem immer größer werdenden Bauch erzählen kann.

*Der Name, unter dem die Bloggerin Texte veröffentlicht. Der vollständige Name soll in dem Artikel nicht genannt werden.

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