Tuesday 14 October 2014

Ein Handel mit Nebenwirkungen


Das Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU ist einer der
größten Wirtschaftsdeals aller Zeiten. Die Chancen und Risiken aus
amerikanischer Sicht.
Das Europaviertel in Brüssel. Fotos: Tanja Goldbecher
 Small Talk auf Chinesisch – für Peter Chase ist das kein Problem. Seine Kindheit und Jugend hat der Amerikaner in Taiwan verbracht. Auch ein paar Sätze auf Deutsch gehen leicht über seine Lippen. Schnellen Schrittes eilt Chase durch die Büroräume der US Chamber of Commerce in Brüssel. Seit mehr als 30 Jahren vertritt er die Interessen von amerikanischen Unternehmen im Ausland. Derzeit hält ihn vor allem ein Thema auf Trab: TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den USA und der EU.

„Die Amerikaner sehen überhaupt kein Problem in dem Abkommen“, sagt Peter Chase. Denn Amerikaner und Europäer würden – trotz der NSA-Spähaffäre – immer noch die gleichen Werte teilen. „Uns geht es darum, eine faire Handelsbeziehung mit der EU aufzubauen, von der beide Seiten profitieren“, fügt der 57-Jährige hinzu. Beide Handelspartner wollen durch das Abkommen neue Märkte für die eigene Industrie erschließen. Zölle sollen abgebaut werden, damit die Wirtschaft wächst und neue Arbeitsplätze entstehen – zumindest in der wirtschaftsliberalen Theorie. Eine optimistische Studie der Europäischen Kommission geht von einem Anstieg der Wirtschaftsleistung in der EU um 0,5 Prozent und in den USA um 0,4 Prozent aus. Diese Effekte sollen sich aber erst im Jahr 2017 bemerkbar machen. Zum Vergleich: 2013 ist die amerikanische Wirtschaft um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Chase verspricht sich von TTIP, dass Unternehmen ihre globale Wettbewerbsfähigkeit steigern. „In den USA haben wir heute viele neue Mikrobrauereien, die ohne Zölle zu bezahlen, ihre ausgezeichneten Waren deutschen Kunden anbieten könnten“, sagt Chase. Die europäischen Bierbrauer damit würden mehr Konkurrenz bekommen.

Der Lobbyist Peter Chase, Foto: PF
In Deutschland und anderen europäischen Ländern hat TTIP eine große Debatte ausgelöst. Viele Menschen befürchten, dass durch die Importe amerikanischer Produkte die europäischen Standards gesenkt werden könnten. Tatsächlich haben aber auch die Amerikaner ihre Bedenken. Während sich die Europäer vor Chlorhühnchen und Rinderhormonen fürchten, wollen die Amerikaner beispielsweise keinen Rohmilchkäse verzehren und nicht alle genetisch veränderten Lebensmittel kennzeichnen. Peter Chase sagt zu der Kritik, dass es eine Anpassung der Standards nur in Bereichen geben soll, wo sie ohnehin sehr ähnlich sind. Johannes Kleis von der europäischen Verbraucherzentrale Beuc sieht darin auch nicht das Hauptproblem: „Beide Handelspartner werden versuchen, sich in Zukunft auf gleiche Standards bei neuen Produktzulassungen zu einigen.“ Hierin bestehe die Gefahr, dass diese zukünftigen Standards unter den bisherigen angesetzt werden, um einen Kompromiss zu erzielen. „Wir befürchten, dass die nationale Gesetzgebung durch solche Verfahren eingeschränkt wird“, sagt Kleis.
In vielen Verhandlungspunkten herrscht derzeit noch Uneinigkeit zwischen den USA und der EU. Ein Beispiel dafür sind die Ilo-Kernarbeitsnormen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, dass die US-Amerikaner diese Normen annehmen. Das Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge ist beispielsweise eine der acht Normen. Arbeitnehmer, die in Europa oder den USA arbeiten, sollen damit die gleichen Rechte erhalten. „Die Vereinigten Staaten haben bereits einige der Ilo-Konventionen unterzeichnet“, sagt Peter Chase. „Sie werden aber wegen TTIP nicht alle unterschreiben.“ Die USA haben bisher zwei Ilo-Normen ratifiziert: Die Abschaffung der Zwangsarbeit als Disziplinarmaßnahme und die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit wie die Beschäftigung von Kindern als Soldaten. Viele Amerikaner bangen zudem um ihre Arbeitsplätze. Denn das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) von 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko hatte große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Laut einer Untersuchung des Washingtoner Wirtschaftsinstituts führte das Abkommen in den ersten zwölf Jahren zu einem Verlust von einer Million Arbeitsplätze und starken Lohnsenkungen in den USA.

Ein zweiter Streitpunkt – und mit Sicherheit der größte – ist das Kapitel zum Investitionsschutz. Ausländische Unternehmen können damit Regierungen vor internationalen Schiedsgerichten verklagen. Den ersten bilateralen Investitionsvertrag haben Deutschland und Pakistan 1959 geschlossen. Deutschland hat mittlerweile 130 solcher Verträge unterzeichnet. Dass die Öffentlichkeit erst jetzt über den Investitionsschutz diskutiert, könnte an der gestiegen Fallzahl und an aufsehenerregenden Fällen liegen. Einer ist beispielsweise die Klage des amerikanischen Tabakriesen Phillip Morris gegen Australien. Die australische Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, dass Markenlogos auf Zigarettenpackungen verbietet.
Das EU-Parlament muss über das Freihandelsabkommen abstimmen.
Peter Chase hält die Klage für gerechtfertigt, schließlich wird Phillip Morris Gewinne ohne das Marketing einbüßen müssen. „Der Investitionsschutz bringt Regierungen dazu, dass sie die Vereinbarungen, die sie mit anderen Ländern in Handelsverträgen getroffen haben, auch einhalten.“ Es macht sie zugleich handlungsunfähig: Unternehmen klagen weltweit wegen des Atomausstieges, der Einführung eines Mindestlohns oder der Anhebung einer Währung, wenn sie dadurch wirtschaftliche einen Nachteil haben. Die Schadensersatzforderungen fallen oft in Milliardenhöhe aus. Die Gewerkschaften, Verbraucherschützer und viele Politiker in Europa fordern, dass dieses Kapitel aus dem Abkommen gestrichen wird. „Wir haben eine gut funktionierende ordentliche Gerichtsbarkeit“, sagt Stefan Gran vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Die internationalen Schiedsgerichte werden deshalb nicht benötigt.

Diese Woche beginnt die siebte Verhandlungsrunde von TTIP. Dokumente, die genaue Forderungen beider Seiten offenlegen, sind immer noch nicht öffentlich zugänglich. Die Europäische Kommission verweist darauf, dass die Amerikaner ihre Verhandlungstexte nicht veröffentlichen wollen. Peter Chase sagt dazu: „Das stimmt, aber die Verhandlungsvorlagen zum Investitionsschutz der USA können online abgerufen werden.“ Es handelt sich dabei lediglich um Vorlagen – was genau verhandelt wird, weiß die amerikanische Bevölkerung nicht.
Business in Bussels - am Verkehr merkt man das.

Jeden Tag trifft Peter Chase Regierungsvertreter, Unternehmenssprecher und Stiftungsmitglieder, um über TTIP zu diskutieren. „Die europäischen Verhandlungspartner sind extrem gut.“ Für ihn spiele es keine Rolle, ob er mit Chinesen, Deutschen oder Franzosen verhandelt. Seit vier Jahren lebt er in Brüssel. Chase beginnt seine Antworten oft mit den Worten „sehr gute Frage“ und schließt wie aus der Pistole geschossen ein Gegenbeispiel an. Er will das Abkommen voranbringen. „Es ist sehr wichtig, dass sich die amerikanisch-europäische Beziehung weiter intensiviert.“ In Brüssel sei er dafür genau am richtigen

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