Monday 17 October 2011

Der internationale Protest

Der Berliner Verein Interbrigadas unterstützt Venezuelas Widerstand auf dem Weltmarkt. 

 Venezuela befindet sich im Protest- gegen die dominierende Rolle der Industrienationen und für den Aufbau einer solidarischen Volkswirtschaft. 2001 stellte der venezolanische Präsident Hugo Cháves die Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) vor, welche die Wirtschaftsbeziehungen innerhalb Lateinamerikas und der Karibik stärken sollte. Dieses Bündnis wurde als  Alternative zum geplanten Freihandelsabkommen der USA entwickelt, um die Länder Lateinamerikas gleichermaßen von Nordamerika und Europa politisch und wirtschaftlich unabhängig zu machen. Derzeit befinden sich jedoch erst acht Länder in der Allianz. Die außenpolitischen Beziehungen von Venezuela zu den USA haben sich dementsprechend verschlechtert, aber auch mit Mexiko, Peru und Kolumbien treten Differenzen auf.
Simón Bolívar, Foto: Anika Mahla
 Dem Protest schließt sich der von berliner Jugendlichen gegründete Verein Interbrigadas an. Im Sommer 2006 fuhren David Wende und Boris Bojilov zum ersten Mal nach Venezuela, um einen kulturellen und politischen Austausch vor Ort zu organisieren. Sie entschieden sich nach Venezuela zu reisen, weil beide vor allem in diesem lateinamerikanischen Land die Veränderungsprozesse in der Politik beobachten wollten. In den folgenden Jahren schlossen sich immer wieder Gruppen von Gleichgesinnten zusammen, um den Kontinent zu bereisen und die politischen Umstrukturierungen vor Ort zu unterstützen.
Der Verein verbindet junge Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander, um in Venezuela unkommerzielle Projektarbeit in kleinen Gemeinden zu veranstalten. Dabei soll den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben werden durch eigene  Erfahrungen im Ausland die politischen Vorgänge im internationalen Kontext kennenzulernen.  
Interbrigadas Gruppenbild 2010, Foto: Anika Mahla
 Durch die Zusammenarbeit mit der venezolanischen Bevölkerung konnte sich der Verein besser organisieren und weitere Kontakte aufbauen. Eine Unterkunft fanden die Vereinsmitglieder meistens in den Gemeinden selbst. In den Barrios auf den Berghängen, welches die sozialschwächeren Bezirke in Caracas sind, bezogen sie für mehrere Monate einen einfachen Raum. Jeder einzelne erlebte dadurch die Lebensrealität der ärmeren Bevölkerungsschichten in Venezuela. Sie waren erstaunt mit welcher Herzlichkeit sie Jahr für Jahr von den gleichen Menschen begrüßt wurden. 
30 Personen aus Deutschland, Argentinien und Venezuela  bildeten in diesem Jahr eine feste Gruppe zur Projektarbeit. Von Anfang August bis Mitte Oktober teilte sich die Arbeit der Gruppe auf die Hauptstadt Caracas und die Küstenstadt Cumaná auf. An beiden Orten wurden kostenlose Kurse, wie beispielsweise Englisch, politische Bildung, Theater oder auch das Mitgestalten von Wandbildern in Zusammenarbeit mit der ansässigen Kommune angeboten. Im Vordergrund von allen Kursen stand das gegenseitige voneinander Lernen.  Felix Wiesner, der mittlerweile zwei Mal mit Interbrigadas in Venezuela war, betont: „ Uns geht es darum in den direkten Austausch mit den Gemeinden  in Venezuela zu treten und zu verstehen warum sich derzeit so viele Menschen für Verbesserungen in ihrem Viertel engagieren.“
Barrio 23, Armenvirtel in Caracas, Foto: Anika Mahla
Obwohl die Vereinsmitglieder Venezuelas Bemühungen ein gerechteres Wirtschaftssystem aufzubauen befürworten, äußern sie Kritik an der aktuellen Politik des Landes. „Es braucht viel Zeit eine Gesellschaft zu verändern, die sich über Jahrzehnte an Korruption und Kriminalität gewöhnt hat.“ sagt David Wende.
Die verschiedenen Gruppen besuchten besetzte Fabriken und setzten sich mit den Beschäftigungsverhältnissen der Arbeiter auseinander. In Gesprächen berichteten die streikenden Arbeiter über mehrmonatige Lohnausfälle. Um Druck auf den Fabrikbesitzer auszuüben, wurde die Arbeit in der Fabrik eingestellt und seitdem für eine Nachzahlung gekämpft. Für die Mitglieder von Interbrigadas entstand der Eindruck, dass Werte wie gute Arbeitsbedingungen vor der reinen Produktivität standen und von dem Staat Freiräume für diesen inneren Protest geschaffen wurden. 
Englischkurs in der Küstenstadt Cumaná, Foto Anika Mahla
 Für Jonas Holldack, welcher in diesem Jahr die Leitung der Gruppe in Caracas übernommen hatte, überwiegen dennoch die positiven Errungenschaften seit 1998 Hugo Chávez zum Präsidenten gewählt wurde. „Wir konnten selbst mit den Bürgern und Gemeinden über den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaftsform sprechen und uns somit eine eigene Meinung bilden“, berichtet Holldack. 
 Allerdings ist der internationale Protest in Venezuela keineswegs unumstritten. Während der eine Teil der Gesellschaft Chávez und den angestrebten Sozialimus des 21. Jahrhunderts verteufelt, sind vor allem ärmere Bevölkerungsschichten über die Verstaatlichung der Erdölindustrie und die daraus resultierende bessere soziale Sicherung dankbar. Die Gesellschaft spaltet sich in Oppositions- oder Regierungsanhänger, andere politische Meinungen gibt es kaum. Aber alle sind sich darin einig, dass es vor Chávez nur wenig Interesse an der Politik im Land gab.
Wandbild für Autoglasfabric in Barcelona, Foto: Anika Mahla
Interbrigadas will mit der Freiwilligenarbeit auch weiterhin Venezuelas Versuche eine alternative Wirtschafts- und Regierungsform aufzubauen unterstützen. Derzeit wird in Caracas ein Internationales Haus errichtet, welches ein fester Standort für politische Bildungsarbeit werden soll. In Berlin verstärkt sich ebenfalls die Vereinsarbeit, um den internationalen Austausch zu befördern. So ist im Sommer 2011 ein zweimonatiges Straßenprojekt in Berlin geplant, wozu auch Künstler aus Lateinamerika eingeladen werden.
Wie sich der Protest in Lateinamerika entwickeln wird, bleibt nicht nur für Interbrigadas, sondern auch für das gesamte Weltwirtschaftssystem ein spannender Prozess. 

No comments:

Post a Comment