Wednesday 5 October 2011

Der Floh steckt im Design

Er will kein Geschäftsmann sein. Marcus Hof steht auf einer gefrorenen Pappe und blickt fröstelnd hinter dem Tisch seines Verkaufsstands hervor. In den Handschuh steckt er eine kleine Schatulle, welche durch einen brennenden Kohlestab im Inneren seine Hände für ein paar Minuten erwärmt. Gemessene minus fünf, aber gefühlte minus 15 Grand wehen über den Flohmarkt am Mauerpark.
Im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg fällt Neuschnee und verdeckt damit den gelbbrauen Schlamm auf dem Gehweg. Doch weder die Gefahr auf nasse Füße, noch stehengebliebene S- und U-Bahnen können die Touristen vom Lonely Planet Highlight abhalten- ein Besuch auf dem Mauerpark Flohmarkt. Nach Trödel müssen sie auf diesem Markt allerdings etwas suchen. Hinter Designer Taschen, bedruckten T-Shirts, fabrikneuen Stulpen und importierten Filzhausschuhen, tauchen ein paar Stände auf, die alte Schraubenschlüssel oder Platten aus den 60ern anpreisen. Für Anne Npora besteht genau darin die Besonderheit des Flohmarkts. Er gibt Jungdesignern die Gelegenheit ihre Werke zu präsentieren und diese dann auch direkt auf dem Markt zu verkaufen. Sie selbst hat ihren eigenen Laden verloren. Seitdem steht sie hier und verkauft Socken, die sie am Vortag beim Großmarkt eingekauft hat. 
Marcus Hof, Foto: Andresas Wohlgemut
Zu den angehenden Designern zählt sich Marcus Hof nicht, obwohl er mit dem Verkauf seiner bedruckten T-Shirts durchaus als solcher abgestempelt werden könnte. Zuhause entwirft er die Muster, welche er dann selbst mit Hilfe des Flexdrucks auf Kleidung und Beutel anbringt. Jeden Sonntag des Jahres verkauft er diese meistens an Touristen, im Sommer schwitzend, im Winter bibbernd. Marcus kann davon leben, einen anderen Zuverdienst hat er nicht. „Ich wollte keinen Vorgesetzten haben“, sagt der gebürtige Kölner. Nachdem er das Diplom in Bio-Chemie geschafft hatte, sprang er von der Karriereleiter ab und widmete sich dem Gestalten von Textildesigns. Nun ist er sein eigener Chef und bestimmt ganz allein, wann und wie viel er arbeitet.
Aus einer durchsichtigen Box holt er die nach Größe und Muster sortierten Shirts raus und hängt sie am Rahmen des Standes an. Während er auf seinem Platz hin und her wippt, vernebelt ihm der Atem die Sicht. Marcus blinzelt aufmerksam nach links und rechts, solange bis die nächsten Kunden vor ihm stehen bleiben. Wenig später schlurfen sie weiter durch die geordneten Gänge des Flohmarkts. „Heute läuft es nicht so gut“, sagt der 30-jährige Stammhändler. Im Sommer sei es viel voller und er verkaufe wesentlich mehr als im Winter. Von neun Uhr morgens bis sechs Uhr Abends verbringt er die Zeit auf dem Markt, ohne dabei eine Pause einzulegen. Endlich tauchen zwei Spanierinnen mit gezücktem Portemonnaie auf. Alba Moreno kauft das das T-Shirt mit Marcus` entworfenen Pusteblumen, und ihre Freundin Maria entscheidet sich für das Grammophon, aus welchem rote Schmetterlinge flattern. „Ich musste noch nie so viel Englisch sprechen, wie hier auf diesem Markt“, merkt Marcus an und wirft dabei den beiden Kundinnen ein Grinsen hinterher.
Marcus Hof, Foto: Andreas Wohlgemut
Ein älterer Händler, der schon seit sechs Jahren die Veränderung des Mauerparks beobachtet, bedauert, dass der Flohmarkt seinen Charakter durch die Professionalität verloren hat. Mehr Quantität, statt Qualität treibe den Mainstream und den Andrang der Touristen voran. Er selbst biegt  Draht in die Form eines Namens. Seinen will er hingegen nicht verraten, „man weiß ja nie, Überwachungsstaat und so.“
Gleich am Eingang des Flohmarkts sitzt das Ehepaar Finn in Decken gehüllt auf zwei Campingstühlen. Vor sich haben sie auf einem Holztisch kleine Puppen, Stulpen und Strickmützen ausgebreitet. Beide sind keine Stammhändler und verkaufen nur zwei Mal im Jahr Selbstgemachtes auf dem Markt. Bis zum Nachmittag haben sie kaum etwas verkauft. „Die Leute wollen am liebsten gar nichts dafür bezahlen“, meint Steven Finn. Außerdem ist Verkaufsoffener Sonntag und somit kein guter Tag für die Hobbyverkäufer.  
Marcus träumt davon sein Label Bedeckdich bekannt zu machen, um bald mehr über das Internet verkaufen zu können. Er stellt sich den Flohmarkt als Sprungbrett vor, mit dem er im Moment überleben kann. Irgendwann möchte er nur noch gestalten und anderen das Kaufmännischen überlassen.
Zurück an Marcus Stand sucht die 24-jährige Engländerin Emily Gilbert ein Weihnachtsgeschenk für ihren Freund in der Heimat. Beim Anblick des T-Shirts mit dem roten Brandenburger Tor und der erhängten Person in der Mitte zeichnet sich ein Schmunzeln in ihrem Gesicht ab. Auf dem grauen Preisschild steht eine 18 geschrieben. Marcus gibt es ihr ganz von allein für 15 Euro. Und das macht er heute schon zum dritten Mal so. Er fühlt sich selbst als Künstler, als jemand, der etwas anderes probiert um Erfolg zu haben.   

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