Manuel Schürmann, Geschäftsführer von Global Change Now e. V., Foto: Sander Fuchs |
Die Eingangstür der Villa ist offen. Eine Marmortreppe
führt hinauf in ein abgedunkeltes Foyer, in dem ein verlassener Anmeldungstresen
steht. Bitte im ersten Stock melden, heißt es auf einem Schild neben der runden
Tischklingel. Manuel Schürmann öffnet die Flügeltür zu seinem Büro mit
glänzendem Parkettboden. Er setzt sich in einen der vier schwarzen Ledersessel
neben dem alten Kamin. Der 25-Jährige ist der Geschäftsführer des Vereins
Global Change Now (GCN).
Wie unser Geldsystem funktioniert, ist eine der
zentralen Fragen, mit der sich der Verein auseinandersetzt. Manuel Schürmann
hatte gerade seinen neuen Job bei der Commerzbank in Köln begonnen, als die
Investment Bank Lehman Brothers 2008 Insolvenz beantragen musste. Als ihm
niemand erklären konnte, warum es zu der Krise kam, begab er sich selbst auf
eine Ursachensuche und stieß im Internet auf Menschen mit dem gleichen
Interesse. Kurz darauf wurde Global Change Now gegründet. Der Verein möchte Alternativen
zum Kapitalismus und zur sozialen Marktwirtschaft entwickeln.
Manuel Schürmann trägt eine enge Jeans und einen
dunkelblauen Pullover über dem weißen Hemd. Den Alltag eines Bankers empfand er
unbefriedigend. Als die Beziehung zu seiner Freundin in Köln in die Brüche
ging, kündigte er kurzerhand seinen Job und begann einen radikalen Umbruch in
seinem Leben. Für seine Arbeit als Vollzeitaktivist bei GCN zog er nach Berlin.
Seitdem die Bundeszentrale bald darauf aus finanziellen Gründen nach Köthen
verlegt wurde, lebt und arbeitet er in der Villa Creutz.
„Ich habe das Gefühl, dass ich so langsam in
Köthen angekommen bin und auch nicht mehr von hier wegkomme“, berichtet Manuel
Schürmann. Köthen ist eine Kleinstadt
mit knapp 30.000 Einwohnern und liegt mitten in Sachsen-Anhalts flacher
Feldlandschaft. Die gut erhaltene Villa konnte der Verein zu einem sehr
günstigen Preis kaufen.
Eingangsschild zur Villa Creutz, Foto: S. Fuchs |
Eine dunkle Holztreppe führt zur oberen Etage des
Hauses, wo sich die Zimmer der Aktivisten befinden. Ein geräumiges Mehrbettzimmer
in hellem beige wurde ebenfalls für Workshop-Teilnehmer eingerichtet. Zwischen
sieben und 12 Vereinsmitglieder leben dauerhaft in der Villa. GCN ermöglicht
ihnen eine kostenfreie Unterkunft und stellt die Verpflegung, aber eine
Bezahlung bekommen Manuel Schürmann und die anderen nicht.
Mittlerweile organisiert GCN zum dritten Mal
einen Kongress zum Thema „Macht Geld Sinn Energie“ in Köthen. Vom
9. bis zum 14. März diskutieren Referenten aus Politik und Wirtschaft die
Finanzkrise, soziale Ungerechtigkeiten und die nachhaltige Energiegewinnung. Obwohl
keiner der Gastredner ein Honorar verlangt, reicht der Ticketpreis von 100 Euro
kaum aus, um die Kosten für die Organisation des Kongresses zu decken. Wie im
letzten Jahr erwartet der Verein einen Zustrom von 500 interessierten
Teilnehmern. So viele Besucher sind für Köthen ein Ausnahmezustand, sodass viele
auf Unterkünfte in nahegelegenen Orten ausweichen müssen.
Nach der Gründung des Vereins 2009 arbeiteten die
Mitglieder zunächst an einer Kampagne zum Grundeinkommen. Dabei versuchte der
Verein dem Thema Grundeinkommen ein positives Image zu verleihen. Das
bedingungslose Grundeinkommen garantiert
jedem Bürger eine finanzielle Absicherung. Dabei spielt es keine Rolle ob
jemand berufstätig ist oder wie viel Vermögen er besitzt. Durch die materielle
Sicherheit soll jeder Mensch sich selbst verwirklichen können. Außerdem
beschäftig den Verein eine schonende Nutzung der Umwelt. GCN plädiert dafür,
Ressourcen zu besteuern. Dadurch soll ein sparsamerer und effizienterer Umgang
mit Rohstoffen durchgesetzt werden.
Bereits 175 Fördermitglieder unterstützen die Arbeit
des Vereins. Der deutsche Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz ist einer der
einflussreichsten Theoretiker, an dem sich GCN orientiert. Ihm zu Ehren ist die
Bundeszentrale auch Villa Creutz genannt worden. Creutz kritisiert
beispielsweise, dass die deutsche Wirtschaftsleitung und das Geldvermögen immer
weiter steigen, aber die Nettolöhne der Arbeitnehmer sinken. Er schlussfolgert
daraus, dass das gestiegene Vermögen sich immer mehr in den Händen einzelner
Personen befindet. Der Großteil der Bevölkerung profitiert also nicht vom
Wirtschaftswachstum und die Kluft zwischen Arm und Reich wird stetig größer.
Die Villa in der Friedrich-Ebert-Straße und in
der Nähe des Köthener Bahnhofs wurde in der DDR von der FDJ-Kreisleitung
genutzt. Früher fanden hier Versammlungen für die Pionierleiter der Region
statt. Im gesamten Haus stehen antike Möbel, die den authentischen Stil der
Villa erhalten. Manuel Schürmann öffnet die Tür zu dem rot gestrichenen
Seminarraum. Auf dem Schrank stehen fünf Gemälde von Gastrednern, die ein anonymer
Künstler aus Köthen angefertigt hat.
„Die jungen Menschen sollen sehen, dass sie mit
dem Thema nicht alleine sind“, erklärt Schürmann. Der
Wirtschaftswissenschaftler Dirk Löhr von der Fachhochschule in Trier ist einer
von den dargestellten Experten.
Der Kongress verteilt sich über die ganze Stadt.
Vom renovierten Johann-Sebastian-Bach-Saal, über die Homöopatische Bibliothek bis zur Heinz-Fricke
Sporthalle wird ganz Köthen zur Diskussionsplattform. Jedoch stammen die wenigsten Teilnehmer ursprünglich aus der Kleinstadt. Dennoch betont Manuel
Schürmann das gute Verhältnis des Vereins zum Oberbürgermeister Kurt-Jürgen
Zander, der auch Schirmherr der Veranstaltung ist, sowie zur kommunalen Kirche
und ansässigen Fachhochschule.
Wie im letzten Jahr soll der Lutze-Taler wieder
als Zahlungsmittel während des Kongresses eingesetzt werden. Eins zu eins
können Euro in Taler in der Villa Creutz umgetauscht werden. Durch Absprachen
mit lokalen Kneipen und Ladenbesitzern kann die Währung nur in der Region
ausgegeben werden. Beim Zurücktausch in Euro veranschlagt der Verein eine
Gebühr von fünf Prozent und diese Einnahmen sollen wiederum sozialen Projekten
zu Gute kommen. Für Geldreformer ist das regionale Zahlungsmittel ein
reizvoller Praxisversuch.
Manuel Schürmann im Garten der Villa Creutz, Foto: Sander Fuchs |
„Ich glaube, dass die Komplexität des Themas
überschätzt wird“, sagt Manuel Schürmann. Das Problem bestehe vor allem darin,
dass Geld zu viel gespart und zu wenig investiert werde. Während einige
Personen immer mehr Vermögen anhäufen, fehlt es der Bevölkerung an Kaufkraft.
Ohne Investitionen und Absatzmärkte funktioniert das kapitalistische System
jedoch nicht.
Kleinere Workshops organisiert GCN auch in Köln
und Berlin. Die Schuldenkrise wird dabei immer wieder thematisiert. „Dabei wird
jedoch außer Acht gelassen, dass die Schulden der einen auch immer Sparguthaben anderer sind. Es handelt sich also weniger um eine Schulden-, als vielmehr um
eine Guthaben- und Verteilungskrise“, argumentiert GCN auf seiner Homepage. Das
Geldsystem müsse reformiert werden, damit die Wirtschaft zu einem
demokratischen Instrument werden könne und der gesamten Bevölkerung nutzt.
Durch mehr Investitionen der Vermögenden würde der Binnenmarkt angeregt,
Einkommen könnten steigen und Schulden abgebaut werden.
Zusätzlich glaubt der Verein, dass bestimmte Güter,
die für die Gemeinschaft notwendig sind, in öffentlicher Hand bleiben sollten.
„Es kommt auf die Differenzierung der Güter an“, sagt Manuel Schürmann. Je nach
Gut und Nutzen für die Gemeinschaft müsse entschieden werden, ob eine private
oder öffentliche Verwaltung der Ressourcen richtig ist. Probleme entständen vor
allem dann, wenn Gemeinschaftsgüter monopolisiert werden. Ein Beispiel dafür
ist die derzeit diskutierte Privatisierung von Wasser. In eine politische
Schublade lässt sich der Verein damit nicht stecken. So vertrete keine der
Parteien seine Interessen.
In der 1000 Quadratmeter großen Villa gibt es
mehrere Büroräume, in denen weitere Aktivisten an Computern arbeiten. Vor allem
die Verwaltung des Vereins bedarf viel Arbeit. Ein großer Hof führt zu einem
Garten, in dem eine kleine Bühne aus Beton gebaut wurde. Hier, so Schürmann,
könnten im Sommer Kulturabende organisiert werden. „Für die Mitglieder ist
Köthen wie ein Disneyland für Weltverbesser“, fügt er hinzu.
Sehr interessant, ich wusste gar nicht, dass es einen solchen Verein in Köthen gibt!
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